Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

Ein Artikel von Nancy Hochgraef - Diplom Sozialpädagogin

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF)

Einleitung:

Geflüchtete Menschen, die nach Deutschland/Hamburg kommen, haben eine weite und oft sehr lange Reise hinter sich. Manche sind mehrere Monate oder sogar Jahre unterwegs bevor sie irgendwo ankommen und versuchen zu bleiben. Die Flucht hat selbstverständlich einen ganz anderen Charakter, als die Reisen, die „wir“ unternehmen. Von Freiwilligkeit, Vergnügen oder Komfort kann keine Rede sein. Fluchtrouten werden oft von bewaffneten Gruppen kontrolliert. Kinder und Jugendliche müssen Vergewaltigungen fürchten, können verschleppt, als Kindersoldaten zwangsrekrutiert oder als billige Arbeiter ausgenutzt werden. Vielerorts fehlt es an medizinischer Versorgung und ausreichendem Zugang zu Nahrungsmitteln und Trinkwasser. Um die Wege zu bewältigen, müssen Kinder und Jugendliche unbekannten Menschen Vertrauen schenken, geraten in Abhängigkeiten und wenn sie irgendwo „verloren gingen“, würde niemand davon Kenntnis nehmen. 

Die Flucht wird von dem Traum nach einem sicheren und erfüllten Leben begleitet. Eine Rückkehr zur Familie oder ins Herkunftsland ist oft unmöglich und kann zu starken sozialen Ausschlüssen, Haftstrafen oder gar Todesstrafen führen. 

Jede Fluchtgeschichte ist individuell und gleichzeitig ähneln sie sich auch. So wie wir uns alle in etwas gleichen und gleichzeitig unterschiedlich sind. Im Rahmen dieses Aufsatzes werde ich konkrete Schilderungen einer jungen, nach Hamburg geflüchteten Frau mit einfließen lassen, um so einen kleinen realen Einblick, in ihr Leben zu geben. 

Ich möchte von Buka (Name geändert) erzählen, sie ist in Guinea geboren. Ihr Vater ist ein anerkannter Iman und ihre Mutter die zweite von drei Ehefrauen. Buka wurde in der frühen Kindheit, wie viele Mädchen in Guinea, beschnitten/ wir können es auch Genitalverstümmelung nennen. Und kurz nach ihrem 15. Geburtstag zwangsverheiratet. Mit Unterstützung ihrer Mutter konnte sie einen Monat nach der Hochzeit fliehen. Ihr Ziel war Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben, nicht Deutschland oder Hamburg, Reichtum und Gier. 

Fakten zu Unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF) in Deutschland: 

Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sind im Jahr 2015 deutschlandlandweit 22.255 UMF eingereist. 2016: 35.939 und bis August 2017: 6.928 (vgl.: BAMF, S.1). Nicht alle sind in Deutschland geblieben und nicht alle haben einen Asylantrag gestellt. Einige Jugendliche versuchen von Deutschland aus weiterzureisen, weil sie in anderen europäischen Ländern Familienangehörige haben oder sich mehr von der Aufnahme in diesem Land erhoffen. Um die 90% der eingereisten Minderjährigen sind männlich. Die meisten jungen Geflüchteten kommen aus Afghanistan, Syrien, dem Irak, Eritrea und Somalia. Viele der Geflüchteten verbleiben jedoch in ihrem Land. Laut des UN Flüchtlingskommissariats (UNHCR) waren 2016 weltweit rund 65 Millionen Menschen auf der Flucht, davon waren mehr als 40 Millionen Binnengeflüchtete, also in ihrem Land Verbliebene. 70 % von ihnen waren Frauen und Kinder (vgl.: UNHCR, S.1). Die nächst größere Gruppe, aus ihrer Heimat Vertriebene schafft es in die jeweiligen Nachbarländer, zum Beispiel nach Pakistan, in den Libanon, Iran oder nach Uganda. 

Im März 2016 erreichte die Zahl von in die Bundesrepublik eingereisten UMF ihren Höchststand. Seitdem sinken die Zahlen kontinuierlich. Dieser Rückgang ist maßgeblich auf die insgesamt gesunkenen Einreisezahlen von Schutzsuchenden in Deutschland zurückzuführen. 

Bis Dezember 2016 wurden insgesamt 14.259 junge Volljährige, die als UMF eingereist waren, in die Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe aufgenommen. Bis Oktober 2015 wurde in der Gruppe der UMF noch zwischen unter und über 16-jährige unterschieden. Diese Unterscheidung wurde durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzt aufgehoben und die Verfahrensfähigkeit auf das 18. Lebensjahr angehoben. 

Mit 68% ist die Gruppe der 16 und 17 Jährigen die Größte der Eingereisten, gefolgt von den 14-15 Jährigen mit 24%. Somit sind 92% aller UMF zwischen 14 und 17 Jahren alt (vgl.: Deutscher Bundestag, Drucksache 18/11540, S.5f). 

Auch Buka war gerade 16 Jahre alt geworden als sie in Hamburg ankam. Sie war also fast ein Jahr auf der Flucht. Von Guinea reiste sie nach Mali, dort gab es eine bekannte Freundin und sie konnte für einige Zeit Unterschlupf finden. Von Mali ist Buka weiter nach Marokko, hier fand sie Unterstützung von einer Familie, durfte in ihrem Haus mitwohnen und half im Haushalt. Aber lange konnte sie dort nicht bleiben. Mit einem Minivan wurde sie nach Ceuta geschmuggelt, 4 Monate später wurde sie auf das spanische Festland gebracht. Von dort reiste sie mit anderen Geflüchteten mit dem Zug nach Deutschland und landete durch Zufall am Hamburger Hauptbahnhof. 

Fluchtursachen: 

Die Frage, warum sich Kinder ohne ihre Eltern oder anderen erwachsenen Angehörigen auf die Flucht begeben, ist ungenügend erforscht. Vielfach fliehen sie aber aus denselben Gründen, die ebenso auf Erwachsene zutreffen könnten. Sie fliehen vor Kriegen, Krisen, Konflikten, sowie vor Armut und Naturkatastrophen. Auch die Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen, sozialen oder religiösen Bevölkerungsgruppe gehört zu den Fluchtursachen. 

Kinder und Jugendliche können darüber hinaus von Ausbeutung, Sklaverei oder Kinderarbeit, von Verfolgung wegen Wehrdienstverweigerung, oder auch drohender Zwangsrekrutierung als Kindersoldaten betroffen sein. Spezifische Fluchtgründe für Mädchen und junge Frauen sind beispielsweise drohende Genitalverstümmelung, Zwangsheirat, sexueller Missbrauch oder Zwangsprostitution (vgl.: Parusel, Bernd S. 19ff). 

So auch Buka. Sie sollte mit 15 Jahren die dritte Frau eines Mannes werden, den sie nur vom Sehen her kannte, der beim Militär arbeitete und älter als ihr eigener Vater war. In diesem, ihr vorbestimmten Leben, war es nur wichtig das sie kochen, waschen und andere Hausarbeiten verrichten konnte. Dass das nicht unbedingt den Wünschen eines jungen heranwachsenden Mädchens entspricht, muss wohl nicht weiter erläutern werden. Buka hatte Glück und ihre Mutter unterstütze sie, aus diesem Leben auszubrechen. Den Weg musste sie jedoch allein auf sich nehmen und sie weiß bis heute nicht, ob sie ihre Mutter jemals wiedersehen wird. 

Auch Deutschland, die EU und viele westliche Staaten tragen durch ihr kapitalgesteuertes Wirtschaftssystem ausschlaggebend dazu bei, dass Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Rüstungstransporte, ungerechte Handelsabkommen wie das Fischereiabkommen, Marküberschüttung von importierten Waren und die Ausbeutung von Rohstoffen sind Teil einer weltweiten Ungerechtigkeit und führen Menschen in Armut, wo große Konzerne gewinnen und „wir“ durch unseren maßlosen Konsum berauschende Gefühle entwickeln. 

Aufnahme in Hamburg I: 

Wenn Kinder und Jugendliche in Hamburg ankommen, müssen sie verschiedene Stationen durchlaufen um im System aufgenommen zu werden. Ihre Identität, Herkunft, Familien-verhältnisse und ihr Alter müssen festgestellt werden, sie müssen sich offenbaren um angenommen zu werden. 

Der Landesbetrieb Erziehung und Beratung (LEB) hat in Hamburg die Aufgabe, den Schutz dieser jungen Menschen zu gewährleisten. Dafür werden sie vom Kinder- und Jugend-notdienst (KJND), gemäß achtes Sozialgesetzbuch § 42 a, in Obhut genommen. Nun werden die Voraussetzungen für eine mögliche Umverteilung auf andere Kommunen (seit November 2015 möglich) geprüft. Innerhalb des KJND ist der Fachdienst Flüchtlinge zuständig für die Erstaufnahme und alle jugendamtlichen Aufgaben. In den weiterführenden Erstversorgungs-einrichtungen sollen dann Anschlussperspektiven erarbeitet werden. 

Der KJND übernimmt die Rolle des zuständigen Jugendamtes und ist für die Personen zuständig, für die eine Inobhutnahme in Frage kommt. Für eine Entscheidung darüber ist festzustellen, ob die Person tatsächlich ausländisch ist, unbegleitet nach Deutschland gekommen ist und sich weder Personensorgeberechtigte noch Erziehungsberechtigte in Deutschland aufhalten. Eine weitere wichtige Voraussetzung ist die Eigenschaft als Kind oder Jugendliche_r. Diese Voraussetzungen werden anhand der persönlichen Angaben der jeweiligen Person geprüft (vgl.: LEB, S.3f). 

Bis Ende Juli 2017 gab es 369 Neuaufnahmen, von denen 232 Minderjährige waren. Bis Ende April wurden von diesen 57 verteilt, eine große Anzahl ist mit unbekanntem Ziel weitergereist. Der Bestand an Betreuten ist in den Einrichtungen des LEB seit Juni 2016 bis August 2017 von 842 auf 284 gesunken (vgl.: LEB, S.28f). 

Altersfeststellung: 

Um das Alter der Kinder und Jugendlichen festzustellen, müssen diese zuallererst in einem Aufnahmegespräch von Sozialpädagog_innen des KJNDs in Inaugenschein genommen werden. Dafür wird ihre äußere Erscheinung sowie die körperliche Entwicklung begutachtet und insbesondere auf postpubertäre Körpermerkmale untersucht. Biographische Fakten, zum Beispiel zum Schulbesuch, eigener Elternschaft und Arbeitstätigkeit werden abgefragt und Dokumente zum Identitätsnachweis geprüft. So soll eine Minderjährigkeit festgestellt werden. 

In Fällen, in denen offenkundig ein Alter unter 18 Jahren vorliegt, erfolgt die Inobhutnahme. 

Bei offenkundigen Zweifeln an der Minderjährigkeit wird diese abgelehnt bzw. wieder aufgehoben. Jugendliche werden dann den Unterkünften für (alleinstehende) Erwachsene zugwiesen. 

Bei Unsicherheit über das Alter kommen noch weitere Prüfverfahren zur Anwendung. Dann wird eine ärztliche Untersuchung beim Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), am Institut für Rechtsmedizin, durchgeführt: 

 Untersuchung und Anamnese durch einen rechtsmedizinischen Arzt im Hinblick auf allgemeine körperliche Reifezeichen sowie auf mögliche Entwicklungsverzögerungen; 

 

 zahnärztliche Untersuchung der Ober- und Unterkiefer sowie der angrenzenden Bereiche zur Feststellung der Weisheitszahnentwicklung und anderer altersrelevanter Befunde; 

 radiologische Untersuchung der Handknochen und ggf. auch des Schlüsselbeins und des Brustbeingelenkes zur Feststellung des altersrelevanten Entwicklungszustandes (vgl.: LEB, S.6ff). 

 

Das Verfahren der Altersfeststellung ist umstritten. Nicht nur weil es Misstrauen ausdrückt, sondern auch weil dieses Verfahren erniedrigend auf die Betroffenen wirken kann. 

Aufnahme in Hamburg II: 

Von der Erstaufnahme geht es, nach den oben genannten und dann bestätigten Voraussetzungen, weiter in eine betreute Einrichtung der Erstversorgung. Von hier an müssen die Kinder und Jugendlichen nun versuchen ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Sie müssen eine Schule besuchen, Deutsch lernen, einen Schulabschluss machen oder einen Ausbildungsplatz finden. Sie müssen ihre Fluchterfahrungen und die Gründe, die sie zur Flucht geführt haben verarbeiten und neue Zukunftspläne entwickeln. Bei der Mehrzahl der UMF ist der Gesundheitszustand durch extreme fluchtbedingte Belastungen und damit einhergehenden körperlichen Beeinträchtigungen gekennzeichnet. Auch Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit stehen in der Regel in einem engen Zusammenhang mit traumatischen Erfahrungen. Um diese überwinden zu können, brauchen Kinder und Jugendliche Sicherheit, neue Freunde, Vertraute und professionelle Hilfe, die sie auf ihrem Weg begleiten und unterstützen. 

Als Buka in Hamburg ankam stand sie ganz allein am Gleis. Sie kaufte eine Fahrkarte und stieg wahllos in eine S-Bahn ohne eine Idee zu haben, wo es nun hingehen sollte. In der S-Bahn hörte sie eine Person in ihrer Muttersprache telefonieren und nach langem Zögern sprach sie diese an. Sie hatte wieder Glück, denn diese Person nahm Buka vorläufig auf und begleitete sie zu den notwendigen Stellen. Akan (Name geändert) kam selber als UMF nach Hamburg, lebte zu diesem Zeitpunkt schon 3 Jahre in Hamburg und wusste genau wie das Verfahren abläuft. Gemeinsam gingen sie zum KJND und Buka wurde in die Erstaufnahme aufgenommen. An ihrer Minderjährigkeit bestand kein Zweifel und so konnte sie auch ohne größere Komplikationen in eine Erstvorsorgeeinrichtung aufgenommen werden. Es war eine provisorische Unterkunft, ein Containerlager, allein für junge alleinstehende Frauen. Nicht hübsch, ohne besondere Ausstattung und auch weit draußen am Stadtrand gelegen. Dort nahm sie an einem Deutschkurs teil und wurde nach einigen Monaten einer Schule zugeteilt, um einen Schulabschluss anzustreben. Sie und Akan verliebten sich und Buka wurde bald schwanger. Dann lernte Buka ihren zukünftigen Vormund in einen Gespräch in der Unterkunft kennen, weil die sehr engagierten Mitarbeiterinnen dieser Unterkunft, sehr ernsthaft nach einem Privatvormund suchten und diese einen Freiwilligen erreichte, für den die Übernahme einer Privatvormundschaft in Frage kam. 

Vormundschaft: 

Für unbegleitete minderjährige Geflüchtete soll, nach SGB XIII, das Jugendamt unverzüglich einen Vormund beim Familiengericht bestellen. Solange vom Gericht kein Vormund bestellt ist, soll das Jugendamt diese Funktion, im erforderlichen Umfang zum Wohle der Betroffenen, ausüben. 

Im besten Fall kann ein Privatvormund gefunden werden, der/die aus dem sozialen Umfeld des Betroffenen stammt. Der klare Vorteil zu einer Amtsvormundschaft liegt in der persönlichen Begleitung und Herstellung einer zwischenmenschlichen Beziehung. 

Weiter sollen Vormünder wesentliche Teile der elterlichen Sorge übernehmen. Darunter fällt die rechtliche Vertretung, die Personen- und Vermögenssorge, die Sicherung und Schaffung von Bleiberechtsperspektiven, die Vertretung im Asyl- und Aufenthaltsrechtlichen Verfahren, die Unterstützung bei Familienzusammenführung, die Gesundheitsfürsorge, die Sicherstellung von Schul- und Ausbildungszugang und Spracherwerb sowie die Beantragung erforderlicher Leistungen (vgl. Bundesfachverband UMF, S. 13-17). Einige dieser Aufgaben werden auch von den Sozialarbeiter_innen der jeweiligen Unterkünfte begleitet und erledigt. 

Amtsvormünder überschreiten oft eine gesetzlich vorgegebene Oberanzahl von 50 Mündeln. Daran wird deutlich, dass diese den Anforderungen nur schwer gerecht werden können und die wichtige Beziehungsarbeit nicht möglich ist. 

Asylverfahren: 

Ein Asylverfahren wird in Betracht gezogen, wenn Menschen aufgrund von politischer Verfolgung (Artikel 16a GG) nach Deutschland gekommen sind oder wenn ihr Leben oder ihre Freiheit im Herkunftsland aufgrund ihrer Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen der politischen Überzeugung (Genfer Flüchtlingskonvention) bedroht war und ist. Weiter können schwerwiegende Gefahren für Leib oder Leben, wenn Folter oder Todesstrafe drohen oder eine erhebliche Gefahr durch einen internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikt besteht, einen subsidiärer Schutz bewirken. Die Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist im Asylverfahren der wichtigste Termin und ausschlaggebend für die Gewährung eines möglichen Aufenthaltes und die einzige Möglichkeit, eine persönliche Aussage zu seinem Begehren zu machen. Deswegen wird eine Vorbereitung darauf sehr empfohlen. Diese ist zeitintensiv und erfordert meist mehrere Gespräche. Die Kosten für Rechtsberatung und dem Beistand müssen aber selbst getragen werden, weil sie nicht verpflichtend sind und das Asylverfahren kein Prozess ist, für den Prozesskostenbeihilfe beantragt werden könnte. 

Zusammen mit ihrem Vormund hat Buka Ende des Jahres 2016 einen Asylantrag für sich und ihr Kind gestellt. Sie haben sich dafür anwaltlich beraten lassen und sich mit der Anwältin inhaltlich auf die Anhörung vorbereitet. Circa sieben Monate nach Antragstellung hat Buka eine erste Einladung zur Anhörung bekommen, die dann kurzfristig wieder abgesagt wurde, die Dolmetscherin war erkrank. Nach weiteren 3 Monaten erhielt sie einen zweiten Termin. Buka und ihr Vormund und die Anwältin sind pünktlich zum Termin erschienen, haben eine Stunde im Wartezimmer mit anderen gesessen und nervös immer wieder auf die Uhr geguckt, bis auch dieser Termin, wegen technischer Probleme, abgesagt wurde. Zum Ende des Jahre 2017 kam die dritte Einladung zur Anhörung. Aber auch diese wurde seitens des Bundesamtes einen Tag zuvor abgesagt. 

Für die anwaltliche Vorbereitung, die Vertretung und Begleitung zum Termin, wurden Buka und ihrem Vormund knappe 500 Euro in Rechnung gestellt. Nicht, dass das Bezahlen einer guten anwaltlichen Vertretung missbilligt werden soll. Ungerecht ist, dass die Vorbereitungen auf den wichtigsten Termin im Asylverfahren für Buka bisher unverschuldet ins Leere liefen. Des Weiteren war es für Buka unerträglich, dreimal wochenlang unter Anspannung einem Termin entgegenzufiebern und dann so abgeschmettert zu werden und im Ungewissen, im Ungehörten zu bleiben. Nun warten sie geduldig auf eine weitere Einladung. 

Buka ist eine fantastische Mutter, sie kümmert sich fürsorglich und liebevoll um ihr Kind. Sie hat eine Kita in der Nähe ihrer Unterkunft gefunden. So konnte sie mittlerweile wieder mit der Schule beginnen und wird voraussichtlich im Sommer 2018 ihren Hauptschulabschluss machen. Sie hat einen langen und anstrengenden Tag. Buka und Kind müssen schon um 7 Uhr in der Kita sein, dann fährt sie zur Schule, für den Weg braucht sie eine Stunde. Nach der Schule fährt sie zurück zur Kita und holt ihr Kind ab. Danach einkaufen, kochen, Hausarbeit, essen, Kind versorgen und ins Bett bringen, Schulaufgaben machen, lernen und selber rechtzeitig schlafen gehen, denn der nächste Tag beginnt schon wieder vor 6 Uhr. 

Buka beklagt sich kaum, sie ist fleißig, wissbegierig, neugierig, lernfreudig, will was in ihrem Leben erreichen, selbstständig sein und ein glückliches Familienleben, zusammen mit ihrem Freund, aufbauen. Der fehlende Kontakt zu ihrer Mutter macht sie zutiefst traurig und oft fühlt sie sich allein. 

Wenn ein Mündel 18 Jahre alt wird endet die eingegangene Vormundschaft automatisch. Wenn Kinder aber aus Ländern kommen, in den die Volljährigkeit erst mit 21 Jahren erreicht wird, überträgt sich das auf Deutschland und die Vormundschaft wird bis zum Ende des 21. Lebensjahrs weitergeführt. 

Einige Zeit bevor Buka 18 Jahre alt wurde, thematisierte ihr Vormund mit ihr die baldige Unabhängigkeit. Welche Möglichkeiten sie dann habe und wo die Schwierigkeiten liegen würden. Sie war unsicher über diese baldige Freiheit. Eine Woche vor dem 18. Geburtstag erhielt ihr Vormund ein Schreiben vom Familiengericht, das in Guinea erst mit 21 Jahren die Volljährigkeit erreicht wird und die Vormundschaft somit weitere 3 Jahre bestehen bleibt. In dieser Zeit baut sich weiter eine tolle Beziehung zwischen den beiden auf, sie sehen sich regelmäßig, mal zum Spaß, mal um Dinge zu besprechen oder wichtige Sachen zu erledigen. Sie werden ein bisschen Familie und Freunde zugleich. 

Dieser kleine Einblick in das Leben von Buka soll Sie dazu ermutigen, sich persönlich mit den Menschen, über die wir täglich in allen Medien hören und lesen, auseinanderzusetzen, sie kennenzulernen, ihnen zuzuhören und ihre Perspektive auf die Dinge, einzunehmen. 

Ich bin davon überzeugt, dass „wir“, Deutsche, Europäer_innen, weiße, Hochprivilegierte uns öffnen müssen, um eine Integration und Teilhabe von neuen Mitmenschen zu ermöglichen. Sie brauchen uns und wir brauchen sie, um unsere Gesellschaft weiterzuentwickeln, um Menschlichkeit zum Ausdruck zu bringen! 

Ausblick: 

Um die Integration von Menschen aus anderen Ländern und Kulturen zu ermöglichen, muss ihnen von der aufnehmenden Gesellschaft ein gewisses Maß an Sicherheit und Anerkennung, ausgestrahlt und gewährleistet werden. Es ist wichtig, dass Menschen Wege und Möglichkeiten finden, sich individuell einzubringen, ein Teil des Gesamten zu werden. 

Durch die AfD und Pegidabewegung sind Rassismus, Intoleranz und Ausgrenzung fast wieder salonfähig geworden. Die Debatten über Obergrenzen, weiterer Aussetzung des Familiennachzugs, Abschiebungen nach Afghanistan oder die Ausweitung der europäischen Außengrenzen nach Nordafrika schrecken ab, verbreiten Angst und Unsicherheit und behindern uns alle am gemeinsamen Integrationsprozess. 

Für eine gelingende Integration ist eine sichere Lebenslage, vor allem für Kinder und Jugendliche, essentiell. Dazu gehören unter anderem stabile soziale Kontakte und emotionale Bindungen. Familiennachzug und –zusammenführung müssen gewährleistet und Familienangehörige bei der Organisation und Durchführung unterstützt werden. Zudem brauchen unbegleitete minderjährige Geflüchtete Unterkünfte in denen sie sich sicher fühlen und durch vertrauensvolle Menschen angemessen betreut werden. Ein Zugang zu psychologischer Behandlung und Traumatherapie, auch in der Muttersprache, würde ihnen helfen, ihre Erfahrungen mit professioneller Hilfe zu verarbeiten. Ein schneller Anschluss an Schule, Ausbildung und Universität würde jungen Menschen ermöglichen gute Sprachkenntnisse, weiterführende Bildung, Schul- und Studienabschlüsse zu erwerben und neue Freunde zu finden. Kinder und Jugendliche erschließen dort auch ihr soziales Umfeld, agieren selbständig, haben am gesellschaftlichen Leben teil und finden ihre soziale Rolle. Unbegleitete minderjährige Geflüchtete brauchen zudem einen dauerhaften sicheren Aufenthalt, ein Anrecht auf rechtliche Beratung und Vertretung im Asylverfahren und einen Schutz vor Abschiebungen. Die Auswirkungen der forcierten Abschiebepraxis wirken sich auf alle jungen Geflüchteten, unabhängig vom Herkunftsland, aus. Je näher die formale Volljährigkeit rückt ohne, dass der Aufenthalt gesichert ist, desto mehr verschärft sich die Unsicherheit. Integrationsmaßnahmen und Anstrengungen werden zunichte gemacht. 

Es geht uns alle an, wir alle tragen Verantwortung, wir alle sind aufgefordert unseren Beitrag zu leisten und uns einzubringen. Das kann durch Freundschaften, Privatvormundschaften oder durch tolle Fotoprojekte geschehen. Das kann das offene Ohr oder ein guter Rat sein, eine Projektwoche in der Schule oder Unterkunft, politisches Engagement, gute Nachbar_innenschaft, das kann das Schaffen von Freizeitangeboten, ein Lächeln auf der Straße, der Blick auf Ungerechtigkeiten und verantwortungsvolles Handeln sein, das kann das notwendige Vitamin B oder der kleine Tipp sein. 

Unendlich viele Möglichkeiten, suchen Sie sich eine aus! ) 

Vielen Dank für Ihr Interesse! 

Literaturnachweise: 

BAMF: vom 31.08.17, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Asyl/um-zahlen-entwicklung.pdf;jsessionid=5322E8115BBA779548F15599B728E77B.2_cid359?__blob=publicationFile 

 

Bundesfachverband Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V., 2010, 

 

Barbara Noske, Herausforderungen und Chancen, Vormundschaften für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland 

Deutscher Bundestag, Drucksache 18/11540, 15. März 2017: Bericht über die Situation unbegleiteter ausländischer Minderjähriger in Deutschland 

 

LEB/ Landesbetrieb Erziehung und Beratung, „Inobhutnahme und Betreuung im Landesbetrieb Erziehung und Beratung“, Juli 2017 

 

UNHCR/ UN Flüchtlingskommissariat: vom 19.06.17, 

 

http://www.unhcr.org/dach/de/15212-globaltrends2016.html 

Parusel, Bernd Unbegleitete minderjährige Migranten in Deutschland. Aufnahme, Rückkehr und Integration, BAMF Working Paper 26/2009 

 

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