1/4 - Durch die Heimat gestolpert - Melinda Brady und Emily Wiebers

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Durch die Heimat gestolpert

Ich glaube die erste Assoziation, die man mit dem Begriff der Heimat hat, ist sein direktes Zuhause. Der Ort, an welchem man aufwächst. Der Ort, an dem man lebt und das Leben durch seine Eltern oder andere Bezugspersonen kennenlernt.

Doch der Begriff bedeutet noch mehr. Heimat… Heimat ist ein Gefühl der Zugehörigkeit, des Wohlfühlens und der Sicherheit, aber auch der Freiheit, die einem die Möglichkeit gibt, so zu leben, wie man ist oder sein möchte.

Marianne Rothschild hatte eine solche Heimat. Sie hieß Bad Homburg, Louisenstraße 97. Das war der Ort, an welchem sie aufgewachsen war, der Ort, an dem sie gelebt und das Leben durch ihre Eltern Melanie und Louis Rothschild zusammen mit ihrem jüngeren Bruder Eduard kennengelernt hatte.

Ich kann mir vorstellen, wie sie sich fühlte, wenn sie das Wort ,,Bad Homburg‘‘ gedruckt in einer Zeitung, oder auf einem Schild stehen sah. Man fühlt sich selbst angesprochen, da es Teil der eigenen Identität ist, Teil ihrer Identität war. Doch Identität kann tückisch sein, verleitend und manipulativ. Wenn sich Identität durch ein Überlegenheitsgefühl definiert, führt dies zu einer Abwertung des Menschen, ein Einteilen in ,,wir‘‘ und ,,die‘‘. ,,Uns‘‘ gehört Bad Homburg, Chemnitz, ,,das Deutsche Reich‘‘…

Heimat wird zu einem Begriff der Gruppenzugehörigkeit. Die Definitionsmacht für das Wort liegt auf einmal bei einzelnen Gruppen, die andere Menschen nicht in ihren Heimatsbegriff einbinden wollen, sondern mit Hass davon ausschließen. Heimat wird zu einem Gut, welches es zu verteidigen gilt. Ein Gruppeninteresse entsteht und löst individuelle, emotionale Assoziationen mit dem Begriff ab.

Die eigene Heimat wird einem aberkannt und zu einer Gefahr. Die Flucht bleibt als letzte Möglichkeit. Die Flucht aus der eigenen Heimat… Dann: der Neuanfang. Eine neue Heimat, die Marianne in Chicago fand. Bleibt nur die Hoffnung, dass diese einem nicht auch noch genommen wird.

Doch ein Teil ihres alten Zuhauses blieb. Ihre Familie starb in der Heimat. Durch ihre Nachbarn, ihre Freund*innen. Als Nummer gestorben, als Nichts… Diese Gedanken kommen, wenn man den Holocaust betrachtet. Doch ihre Namen leben weiter und vielleicht haben ja Eduard, Louis und Melanie Rothschild und die vielen anderen deportierten Bad Homburger Jüd*innnen zurück hierher gefunden und wandeln zwischen uns als Geister ihrer einstigen Existenz. Im goldenen Spiegel der Steine glaubte ich/ wir fast schon ihre Abbilder erkennen zu können…

 

 

f t

 

Fotograf*innen:
Melinda Brady
Emily Wiebers

Region:
Hessen

Entstehungsjahr:
2018

 

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